Walldürner Wallfahrtverein Bad Mergentheim e. V.
Die Wallfahrt - Ein Erfahrungsbericht
Weggehen
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen, in Fels und Wald und Strom und Feld.“ singt der Taugenichts, der im Frühjahr den Hof seines Vaters verlässt und sich auf Wanderschaft begibt und dessen Erlebnisse Joseph von Eichendorff beschreibt. „Eine fröhliche Wanderung im Sommer, durch die blühende Natur, mit anderen Gott nahe zu kommen auf dem Weg zu einem gemeinsamen Ziel - kann es etwas Schöneres geben?“ dachte ich mir. Von der Wallfahrt von Mergentheim nach Walldürn habe ich schon vor Jahren gehört, schon bevor das „Ich bin dann mal weg“ zum Motto einer neuen Pilgerbewegung wurde.
So einfach wie dem Taugenichts wird es mir aber nicht gemacht. Nicht an einem schönen Morgen, wenn die Sonne lacht und der Weg im hellen Licht klar zu erkennen ist geht es los, sondern mitten in der Nacht, wenn selbst im Sommer alles dunkel ist. Kurz vor zwei Uhr stehen einige Menschen vor dem Münster in Mergentheim. Am Vorabend wurde zum Beginn der Wallfahrt in der Marienkirche eine Messe gefeiert. Ich sehe mich um: Kenne ich jemanden? Wann geht es los? Und von wo? Sein Gepäck kann man in den Wagen legen. Einige reden miteinander, andere schauen sichtlich müde vor sich hin. Aus dem Durcheinander erhebt sich ein Kreuz, dahinter stellen sich die Menschen auf. Auch Fahnen werden aufgerichtet. Langsam formt sich ein Zug, der Pilgerführer gibt mit dem "Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes" das Zeichen zum Aufbruch. Langsam, betend setzt sich der Zug in Bewegung, doch am Stadtrand werden die Schritte beschleunigt. Geleitet von einigen Lichtern finden wir den Weg den Berg hinauf – die Wallfahrt hat begonnen.
Beten
Rosenkränze, Andachten, Litaneien, beten, beten, beten. Fuß vor Fuß gesetzt und gebetet. Was zunächst seltsam erscheint, auf offener Straße laut zu beten, wird immer mehr zum Takt des Vorwärts, nur noch auf den Wechsel zwischen dem Vorbeter und der Antwort zu achten. Der Blick auf den Boden gerichtet, damit man nicht stolpert oder dem Vordermann in die Fersen tritt. „Gegrüßet seist du, Maria“, – hat nicht eben ein erster Vogel gesungen? „Vater unser im Himmel ...“ die Sterne verblassen und der Himmel im Osten wird heller. In der Morgenkühle friere ich ein wenig, doch langsam erkenne ich das Gesicht des Menschen, der neben mir läuft.
Rasten
Nun sind wir schon fast 4 Stunden unterwegs. Die Menschen in den Dörfern, durch die wir kamen, schliefen. Nur ganz selten flackerte in einem Fenster das bläuliche Licht eines Fernsehers. Was mögen sie wohl denken, wenn eine singende und betende Gruppe durch das nächtliche Dorf zieht? Fühlen sie sich gestört oder wissen sie, dass in dieser Nacht die Waller aus Mergentheim durchziehen?
Langsam, so denke ich, wäre es wohl Zeit für eine Pause. Wo sollte es noch mal Frühstück geben? Meine Nachbarin scheint sich auszukennen: „Da vorne sieht man die ersten Häuser von Kupprichhausen. In der Turnhalle bekommen wir Frühstück.“ Doch zuerst ziehen wir an der Halle vorbei zur Kirche. Vergisst man seine Seele, wenn man an Essen und Trinken denkt? „Brot vom Himmel hast DU ihnen gegeben, das alle Erquickung in sich birgt.“
Fußfall
Eine einzelne Stimme klingt durch den Lautsprecher. Die kleinen, blauen Bücher, in denen die Gebete, Andachten und Lieder zusammengestellt sind, werden auf den Boden geklatscht. Stöhnend lassen sich die Waller auf die Knie nieder. „.....“ Eine Abfolge von Anrufungen an Gott und Maria folgt und der Rücken entspannt sich ein wenig. Aber auf dem Knie lastet mein Gewicht – eine Unterlage wäre nicht schlecht, und wenn es ein Buch wäre. Aber so bin ich froh, als ich wieder aufstehe und weiter gehen kann.
Ankommen
Waren es nicht schon sieben Berge, die wir überwunden haben? Nach einer weiteren Rast sind wir wieder in die Höhe gestiegen. Eine kleine Verschnaufpause, ein weiterer Fußfall. „Nun geht es nur noch bergab!“, heißt es. Schön, denke ich. Schön ist auch der Blick von der Höhe in ein Tal – Felder und Wiesen, eingesäumt von dunklen Wäldern. Wir biegen auf einen Feldweg ein und die Gruppe zerstreut sich ein wenig. Nicht nur, weil man keine überholenden oder vorbeifahrenden Autos mehr fürchten muss, sondern weil es zwei Arten gibt, mit Ermüdung umzugehen: Schneller zu gehen oder langsamer zu werden. Plötzlich zeigt jemand nach rechts unten in das Tal: „Da ist schon die Basilika zu sehen!“ Und tatsächlich sieht man unten im Tal zwei barocke Türme, deren Sandstein sich kaum vom dunkeln Wald abhebt. Ist die Basilika so klein oder ist es noch so weit? Die Füße schmerzen und ich werde müde. Ich möchte ankommen und mich ausruhen.
Noch ein Fußfall und eine kleine Rast. An einem Aussiedlerhof haben uns nette Menschen Getränke bereit gestellt. Wollen wir nicht noch ein bisschen bleiben? Aber es geht weiter – man erwartet uns in Walldürn.
Wir verlassen den Feldweg und gehen über die Straße nach Walldürn hinein. Ein kleiner Halt, als uns Messdiener und Pfarrer abholen. Mit Musik, Gesang und Gebet ziehen wir durch die Straßen zur Basilika. Man ist so an diese Art der Fortbewegung gewöhnt, dass es einem merkwürdig vorkommt, dass es Leute in ihren Autos eilig haben, an uns vorbeizukommen. Ihr kommt schon an!
An der Kirche vorbei, ziehen wir z
um Haupteingang. Die Glocken läuten schon eine ganze Weile. Die Kirche ist voller Weihrauch – sicher sind wir nicht die erste Pilgergruppe heute. Aber noch nie ist eine Gruppe mit so viel Recht so empfangen worden, denke ich, als wir uns langsam um den Altar aufstellen und den sakramentalen Segen empfangen. Mir steigen Tränen in die Augen und ich bin nicht die einzige. Die Freude, nach langem Weg am Ziel anzukommen löst vieles, was ich noch gestern als Problem empfunden habe. Ich bin erlöst – jetzt verstehe ich es.
Messe
Früh am Morgen hat mich der erste Vogel geweckt – oder doch mein Mobiltelefon? Um 5 Uhr ist Messe und so laufe ich langsam zur Kirche – Muskeln und Füße erlauben keine schnellen Schritte. Nach dem Gottesdienst werden einige Pilger geehrt – 25 Jahre, 30 Jahre, 40 Jahre dabei. Und ich zweifle, ob ich überhaupt den Rückweg schaffe.
Aber nach dem Frühstück geht es dann schon wieder.
Bis zum Ortsende in Walldürn begleiten uns die Leute, die mit Auto oder Bus an der Wallfahrt teilnehmen. Die Leute, die nicht mitgehen können, tun mir schon fast leid. Sie müssen zurückbleiben. Langsam, mit Gebet und Gesang geht es aus Walldürn hinaus. Die Musiker bleiben zurück und wir bewegen uns mit schnellen Schritten den Berg hinauf, den abzusteigen ich gestern so mühsam fand. Die Muskeln tun schon fast nicht mehr weh.
Begegnungen
Einige Gesichter kommen mir nun schon sehr vertraut vor. Wenn man nebeneinander läuft, redet man miteinander. Man sagt, wenn überhaupt, den Vornamen. Die Themen sind ganz unterschiedlich. Es gibt Tipps, vor allem, wenn man ein Pflaster auspackt und eine Blase an den Füßen verklebt. Aufstechen oder nicht – ein heiß diskutiertes Thema. Am besten vor dem Aufbruch die Muskeln mit einem Rheumamittel vorwärmen.“ „Ich laufe immer mit Sandalen, das ist am besten“. Prophylaxe Hinweise: „Drei Wochen lang vor der Wallfahrt die Füße mit Melkfett einreiben!“ (Als wäre es schon ausgemacht, dass ich ein weiteres Mal den Weg gehe!).
Erfahrungen über verschiedene Wallfahrten werden ausgetauscht. Ich bin verblüfft, wie viele meiner Mitpilger nicht nur diesen Weg gehen, sondern andere. Und man spricht auch über sich. Nicht aufdringlich – aber beim Nebeneinandergehen lockern sich nicht nur die Muskeln, sondern auch die Gedanken. Man spricht über Wanderungen, über Sport, über Familie, auch über Beruf und alles, was einen beschäftigt. Natürlich sind auch Menschen darunter, die einem nicht so sympathisch sind. Das ist hier so, wie im Leben sonst auch.
Essen
Essen hält Leib und Seele zusammen. Jawohl. Und nach der Überquerung des ersten Berges könnte so langsam wieder eine Pause kommen. Wofür halte ich einen kleinen Karton in der Hand, auf dem „Schnitzel“ steht?
In Gerichtstetten angekommen gehen wir zunächst in die Kirche zum Segen. Doch dann nichts wie hinauf in die Turnhalle: Wie war das mit dem Schnitzel? Als mittlerweile geübte Wallerin weiß ich aber, dass ich erst mal zur Toilette gehe, bevor sich dort die übliche Schlange bildet. Oder soll ich dann unterwegs...?
Das Essen schmeckt so richtig, und Durst habe ich auch. Und das schönste dabei: Es macht noch nicht einmal müde, sondern gibt Kraft. Wann gehen wir weiter?
Singen
Mittlerweile singe ich auch schon mit. Zwar gehöre ich auch zu denen, die in der Kirche eher mitbrummen und ganz schnell aufhören, wenn anscheinend musikalische Nachbarn einen verwundert anschauen. Aber jetzt traue ich mich - die Leute neben mir sind genauso müde wie ich und können bestimmt nicht mehr fortrennen.
Ich kenne nicht alle Lieder und nicht alle Lieder werden nach den Melodien gesungen, die mir vertraut sind. Es gibt düstere Lieder und solche, die den Aufbruch in ein schöneres Leben besingen. Junge Menschen gestalten einen Teil mit moderner Kirchenmusik und es werden sogar Wanderlieder gesungen. Habe ich das nicht als Schulkind gelernt?
Wetter
„Gib Sonnenschein und Regen“ – so singen wir, nicht nur einmal. Und an Wetter bekommen wir einiges geboten: Ein Gewitter grollt hinter dem Berg und erschreckt uns durch Blitze und dunkle Wolken, ein kurzer Schauer, dann scheint wieder die Sonne. Sie bringt die Wiesen zum Dampfen und bald auch mich. Ich werde nass und trockne wieder, ich friere und schwitze. Nach einer letzten Rast geht es über den letzten Berg vor Mergentheim. Die Sonne steht schon schräg und bringt die Tropfen an den Bäumen zum funkeln.
Da sein
Am Käppele, oberhalb Bad Mergentheims, erwarten uns einige Menschen und schauen nach ihren Verwandten und Bekannten. Es wird gewunken und gefragt: „Habt ihr was von dem Gewitter mitbekommen?“, „Geht es noch?“
Nach einem Gebet am Käppele geht es den Trillberg hinunter
r. Ich muss mich mittlerweile auf jeden Schritt konzentrieren. Mechanisch, im Takt von Gebeten und Liedern, setze ich Fuß vor Fuß, kurze Schritte, nur nicht stolpern!
Dann ziehen wir durch den Ort in die Kirche. Der Pfarrer hält eine kurze Ansprache. Ein letztes Mal erhalten wir den sakramentalen Segen und singen das „Tantum ergo“. Wir verehren das Sakrament, mit dem Gott den neuen Bund zwischen sich und den Menschen gestiftet hat. Jubelnd loben wir Gott und preisen ihn, aus vollem Herzen.
Trotz aller Mühen und Widrigkeiten - ich bin auf der Wallfahrt Gott nahe gekommen und kehre nun wieder in mein alltägliches Leben mit Autos und Terminkalender zurück, in den auch Gebet und Glauben eingepasst werden. Aber die Sehnsucht nach Gottes Nähe bleibt und reicht in meinen Alltag hinein. Bis zum nächsten Jahr, zwei Wochen nach Fronleichnam. Auf Wiedersehen!
Gabriele Rössler und Wolfgang Mack erinnern sich an Gabrieles erste Wallfahrt, die nicht die letzte blieb. Wolfgang war schon als Jugendlicher mit seinem Vater mitgewallt und ist seit mittlerweile mehr als 30 Jahren dabei. (2012)